Entwicklung der Wortbedeutung und des Wortschatzes: Wichtige Meilensteine!

In diesem Blogpost bekommt ihr einen Überblick, welche Entwicklungsschritte euer Kind in den ersten 3 Jahren erreichen sollte, damit es neue Wörter lernen kann und sich ein altersgerechter Wortschatz aufbaut:

  • Es geht um frühe Funktionen des Denkens (Kognition), die eine Grundlage für das Lernen von Wörtern bilden

  • Es wird besprochen, wie sich der Wortschatz vergrößert und wie neue Wörter im Kopf organisiert werden

  • Ich fasse zusammen, wieviele und welche Wörter (Wortarten) in den ersten drei Lebensjahren zu erwarten sind.

Spieglein, Spieglein an der Wand… Wer bin ich?! - Voraussetzungen für die Entwicklung der Wortbedeutung

Es ist total niedlich, wenn Babys anfangen sich im Spiegel zu erkennen und als eine eigenständige Person wahrzunehmen. Sie erschrecken sich, sie lachen sich an, sie probieren verschiedene Gesichtsausdrücke aus. Sie stellen fest, ich bin ich, du bist du (Ich-Entwicklung). Wir lernen zwischen verschiedenen Gegenständen zu unterscheiden und wir nehmen Gegenstände und Situationen unterschiedlich wahr. 

Und die Kleinen begreifen: um mit dir in Kontakt zu treten, muss ich irgendwie mit dir kommunizieren. Die Kinder lernen, dass sie verschiedene Mittel haben, dies zu tun. Das können nonverbale oder sprachliche Handlungen sein. 


Nonverbale Handlungen wären z.B. Zeigen oder Stirnrunzeln. Sie bemerken, dass ihre Umwelt auf diese Signale reagiert (z.B. der Onkel in die Richtung schaut, in die das Kind gezeigt hat). Wer nochmal Nachlesen möchte, welche Rolle Gesten im Spracherwerb spielen, kann sich im Blogpost Frühe Sprachförderung: 5 Fakten für Eltern den Abschnitt 4 durchlesen.

Bei sprachlichen Handlungen merken die Kinder z.B. “aah, wenn ich ham sage, dann bekomme ich etwas zu essen gereicht. Durch mein Sprechen weiß der andere, was ich von ihm will”. 

Damit erkennen sie die Macht der Sprache und die Möglichkeit, Einfluss auf ihre Umwelt zu nehmen. Sie verstehen, dass sie durch ihre Handlung mitbestimmen können, was als nächstes geschieht (Handlungsentwicklung). 

Ein toller Entwicklungsschritt für die Kinder. Und wir freuen uns, dass unsere Kleinen endlich mehr auf das reagieren, was wir ihnen anbieten. Endlich fangen sie an, ihre Bedürfnisse mitzuteilen und das wilde Raten “Hat sie Hunger? Hat sie Durst? Tut was weh? Ist ihr langweilig?” nimmt langsam ab. 

Bald allerdings müssen wir erkennen, dass wir nun immer wieder (heraus)gefordert werden und die  Kinder anfangen, unsere Grenzen und Reaktionen austesten. Dies beginnt schon recht früh und hört wahrscheinlich auch erst mit ihrem Auszug auf :-) Als mich mein Sohn letztens zur Weißglut gebracht hat, hat mein Mann ihn gefragt, warum er das denn gemacht hat und seine Antwort war: “Ich wollte mal sehen, wie laut Mama schreien kann” - Danke Ragnar, Experiment geglückt. - aber das nur mal als kleine Anekdote am Rande ;-)  

An die Handlungsentwicklung schließt sich die dritte Voraussetzung für das Lernen von Bedeutungen (Semantik) und Wörtern (Lexikon) an, die Entwicklung des symbolischen Denkens. Die Kinder erkennen, dass man mit Wörtern die Welt abbilden, beschreiben und kategorisieren kann (siehe Kannengießer, 2019). 

Eng damit verbunden ist die Fähigkeit zu erkennen, dass Objekte existieren, auch wenn sie nicht im unmittelbaren Umfeld zu sehen sind (Objektpermanenz). 

Ein klassisches Beispiel ist, ihr legt ein Tuch über das Lieblingsspielzeug eures Kindes. Bevor es Objektpermanenz entwickelt hat, denkt es, das Spielzeug ist weg. Es richtet seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Mit ca 8. Monaten ändert sich das. Die Kleinen wissen, dass das Spielzeug immer noch unter dem Tuch liegen muss und gehen auf die Suche, schauen unter das Tuch. 

1,2,3 - Los! Wie Kognition, Perzeption und Fast-Mapping zum Wortschatzspurt führen

Diese oben beschriebenen Meilensteine im Denken und Lernen (kognitiven Fähigkeiten) bilden die Basis, Sprache als Symbol erkennen zu können. 

Wörter beschreiben Dinge in unserer Umwelt. Wörter können genutzt werden, um Handlungen zu beschreiben, zu initiieren, Wünsche auszudrücken und Gedanken auszudrücken. 

Gleichzeitig geht der Wortschatzerwerb einher mit der Fähigkeit, die Welt mit allen Sinnen wahrzunehmen (Perzeption). Perzeptuelle Merkmale wie Farbe, Form, Oberflächenstruktur sind wichtige Anker, um Objekte wahrzunehmen und ihnen Begriffe zuzuordnen. Daher ging es in meinem letzten Blogpost zur Sprachförderung im Alltag auch darum, warum es so wichtig ist, alle Sinne mit einzusetzen, wenn man Kinder in ihrer Sprachentwicklung unterstützen möchte. 

Und wenn dann erst einmal die ersten Bedeutungen mit Lautformen verknüpft worden sind (z.B. “das runde Ding nennen alle Ball”) und die Kinder sich die ersten 50 Wörter mit ca. 18 Monaten erarbeitet haben, dann macht es peng und der Wortschatzspurt beginnt (siehe dazu auch meinen ersten Blogpost frühe Sprachentwicklung: die ersten 24 Monate, wo es u.a. auch um den frühen Wortschatzerwerb geht).

Ein wichtiges Phänomen, was im Zusammenhang mit diesem rapiden Anstieg an Wörtern genannt werden muss, ist das so genannte Fast-Mapping. Mapping bedeutet, dass Kinder die Lautfolge eines Wortes mit der Bedeutung eines Wortes verknüpfen (Chiat, 2001). Zum Beispiel die Kinder verstehen, dass wenn jemand das Wort “Rassel” sagt, das Ding gemeint ist, das jemand vor ihnen schüttelt und was diese lustigen Geräusche macht. 

Fast Mapping wiederum beschreibt, dass Kinder sehr schnell, bereits nach wenigen Malen Hören, Wortform und Wortbedeutung miteinander verbinden. Sowohl Wortform als auch Wortbedeutung mögen anfangs noch nicht vollständig oder vollkommen korrekt abgespeichert sein. Aber es wird ein Eintrag im Lexikon angelegt, der im Laufe der Zeit überarbeitet und erweitert werden kann (vgl. Glück & Elsing, 2014). 

Zum Beispiel ein Pinsel wird als Ding abgespeichert, mit dem man auf Papier malen kann und einen Tag später beobachtet das Kind, wie sich Mama vor dem Spiegel mit einem anderen Pinsel das Gesicht anmalt. Dann wird die Bedeutung “kann man auch nutzen, um sich das Gesicht anzumalen” der Wortbedeutung zugefügt. Thorvi hat diese Funktion des Pinsels sehr schnell umgesetzt und liebt es bis heute, sich mit den Wasserfarben zu bemalen, anstatt das Papier vor sich zu nutzen. 

Also passt auf, was ihr im Beisein eurer Kleinen so von euch gebt, ihr mögt euch wundern, wie schnell sie die Wörter aufnehmen und anfangen zu nutzen. Es brauchte nur wenige Wiederholungen, bis meine Kinder das Wort “Naschifleisch” in ihrem Wortschatz gespeichert hatten. Mein Mann fand es witzig den langen, getrockneten Salamistangen diesen Namen zu verpassen und peng, seither wird nur noch nach Naschifleisch verlangt, was mich als Vegetarier immer wieder aufzucken lässt. 

Interessant im Zusammenhang mit Fast-Mapping ist noch Folgendes zu wissen: 

  1. Je häufiger die Kinder ein Wort hören, umso besser (vollständiger) können sie es in ihrem Lexikon abspeichern.

  2. Die Gedächtnisleistungen beeinflussen den Erwerb von Wörtern (Newbury et al., 2015). Kinder mit einem eingeschränkten Merkfähigkeiten (phonologischen Kurzzeit-Gedächtnis) fällt das Fast-Mapping deutlich schwerer. Dies wirkt sich negativ auf den Zuwachs des Wortschatzes aus (Jackson, Leitao, & Claessen, 2016).

  3. Kinder mit einem guten rezeptiven Wortschatz zeigen bessere Fast-Mapping Leistungen als Kinder mit einem geringeren Wortschatz (Jackson, Leitao, & Claessen, 2016).

  4. Bei Fast-Mapping Aufgaben können sich die Kinder die Wörter besser rezeptiv merken (die Produktion, also das Aussprechen des Wortes, fällt ihnen schwerer). Daher ist es auch nicht unerwartet, dass der rezeptive (passive) Wortschatz sich früher und schneller entwickelt als der expressive (aktive) Wortschatz. 

Was bedeutet das für uns und unsere Kinder? 

  1. Wenn wir mit unseren Kindern kommunizieren, ist es gut, Wörter immer wieder zu wiederholen und in verschiedenen Kontexten anzubieten (siehe Blogpost zur Sprachförderung im Alltag). Das hilft ihnen, sich Wörter zu merken und ihren Eintrag im Lexikon zu verbessern. Das heißt, sie können die Bedeutung eines Begriffes erweitern und die Aussprache des Wortes verbessern. 

  2. Wenn wir merken, dass sich unsere Kinder etwas schlecht merken können, dann müssen wir achtsam sein und den Wortschatzerwerb beobachten. Eine schlechte Merkfähigkeit könnte ein erstes Warnzeichen dafür sein, dass sich eine Sprachentwicklungsverzögerung ausbildet. 

  3. Die Förderung des Wortschatzes ist sinnvoll, weil sich ein guter (passiver/rezeptiver) Wortschatz positiv auf den Erwerb von neuen Wörtern auswirkt. 

  4. Die Kinder lernen Wörter zunächst rezeptiv, d.h. Sie verstehen die Wörter, wenden sie aber noch nicht aktiv an. Also habt Geduld! Es ist häufig anstrengend, wenn man Input gibt und das Gefühl hat, nichts bleibt hängen. Im Kopf der Kleinen passiert viel und schließlich werden sie die neuen Wörter auch aktiv anwenden. 

Rungenwagen und Weißkopfsaki - Wortschatzerweiterung: Das Lexikon wächst, die Mama schwitzt 

Am Anfang, wenn wir mit unserem Nachwuchs Bücher anschauen, dann benennen wir häufig die Bilder, wir sehen z.B. einen Schmetterling. Auch wenn er aussieht wie ein Zitronenfalter, so wählen wir automatisch den Names des typischen Vertreters einer Kategorie (auch Prototyp genannt). 

So erwerben die Kinder anfänglich sehr konkrete und allgemeine Wörter auf dem sogenannten Basislevel. Ein Grundwortschatz auf der mittleren semantischen Ebene entsteht. Das bedeutet, dass die Kinder Wörter lernen, die noch nicht so spezifisch sind. 

Wenn zum Beispiel Ragnar mit der Eisenbahn gespielt hat, dann hat er früher den Anhänger an die Lok gehängt. Später hat er dann den Güterwagen angekoppelt und jetzt könnte es der Rungenwagen, der Kesselwagen, der Schüttgutwagen oder der Kühlwagen sein (wer noch etwas mehr zum Basislevel und Prototypen erfahren möchte, der kann sich in Blogpost zur frühen Sprachentwicklung die Abschnitte “Apfel oder Granny Smith” und “Taube oder Flamingo” durchlesen).

Auch speichern Kinder zu Beginn Wörter in thematischen Feldern ab. Wir sprechen z.B. über den Besuch im Freibad. Die Badehose, das Handtuch, die Sonnencreme gehören da mit rein. Genauso wie Tu-Wörter wie plantschen, schwimmen, rudern, spritzen und Wie-Wörter wie nass, kalt, tief, rutschig. Viele verschiedene Wortarten und Wortbedeutungen fassen wir zu dem thematischen Feld “Freibadbesuch” zusammen. 

Erst später bilden sich semantische Felder, also Wort-Gruppen, die eine zusammenhängende Bedeutung haben. Dann lernen Kinder zum Beispiel, dass unter den Begriff Badekleidung die Badehose, der Badeanzug, die Schwimmschuhe und die Badekappe fallen. Auch realisieren sie, dass diese Kleidungsstücke wiederum dem Oberbegriff Kleidung untergeordnet sind. So bildet sich Stück für Stück ein semantisches Netzwerk mit Ober- und Unterbegriffen. 

In dieser Zeit kommt es immer wieder zu Verwechslungen zwischen Begriffen. Meine Tochter hat z.B. die Taube Papagei genannt. Sie hatte also verstanden, dass es ein “bestimmter Vogel” ist, hat dann aber zwei Vertreter (Kohyponyme) der Kategorie Vögel verwechselt. 

Auf dem Weg zu einem differenzierten Lexikon kommt es am Anfang noch häufig zu sogenannten Übergeneralisierungen oder Überspezifizierungen (siehe auch den Abschnitt “Wenn der Löwe zur Ziege wird” im Blogpost zur frühen Sprachentwicklung

  1. Jeder Begriff ist als ein Bündel von Merkmalen abgespeichert. Zu Anfang ist die Anzahl an Merkmalen noch gering, sodass es zu Übergeneralisierungen kommt. Zum Beispiel alles, was fliegt, ist ein Vogel, egal ob es eine Hummel oder ein Käfer ist. 

  2. Von einer Überspezifizierung sprechen wir, wenn das Kind einen Begriff nur für einen speziellen Vertreter der Kategorie benutzt. Zum Beispiel, der Schmuseteddy ist der Teddy, aber andere Teddybären werden nicht Teddy genannt. 

Und so wächst und wächst der Wortschatz und die Wörter werden immer ausdifferenzierter. Wie sehne ich mich nach den Stoffbüchern zurück, in denen nur ein Apfel, ein Ball und ein Teddy zu sehen sind. Nun schlage ich mich mit “Was ist Was”-Büchern rum und schwitze, wenn mein Sohn den Unterschied zwischen Faltern und Schmetterlingen wissen will (hier übrigens eine Erklärung). Und Ragnar ist zunehmends verärgert, wenn ich mir nach dem 20. Mal Lesen noch immer nicht die Namen der verschiedenen Kleinaffenarten gemerkt habe (Weißkopfsaki ist eine davon ;-)). Ich bewege mich immer noch auf dem Basislevel Affe und mein Prototyp ist und bleibt der Schimpanse. 

Wortfelder bilden sich auch mit der Zeit aus. Worfelder haben nicht nur einen gemeinsamen Bedeutungskern, sondern auch einen gemeinsamen Wortstamm. Ein Beispiel hier wäre Milch, Milcheis, milchig, Milchbrötchen, Kuhmilch, Reismilch. 

Und weil die Kinder auch sehr kreativ werden in der Wortbildung, sind dann auch viele lustige Wortkreationen zu beobachten. Ragnar zum Beispiel meinte, als ich ihn nach seinem Tag in der Kita fragte, dass er sich nie erinnern kann, was er gemacht habe. Daher wäre er ein guter Vergesser. In einem Facebook-Post habe ich einen lustigen Satz von einem 5-jährigen Mädchen gelesen: “Wenn ich groß bin, werde ich Eisdieler.”

Welche Stilblüten habt ihr von euren Kindern schon aufgeschnappt. Berichtet mir! Nutzt die Kommentarfunktion unten. Ich finde diese Wortneuheiten immer zum Kaputtlachen und ich bewundere den Einfallsreichtum der Kinder. 

Jetzt haben wir viel über die Strukturierung und Ausdifferenzierung des Wortschatzes gesprochen und über die Wortbedeutungen. Aber zum Ende dieses Abschnittes möchte ich gerne noch einmal daran erinnern, welche unterschiedlichen Bestandteile sich Kinder merken müssen, um einen Eintrag im Lexikon abzuspeichern. Hierbei berufe ich mich auf eine sehr übersichtliche Tabelle von Kannengießer (2009, Tabelle 5.3, Seite 224). Hier eine verkürzte und leicht abgeänderte Zusammenfassung:

Semantisches Wortwissen (Wortbedeutungen)

  • Was bezeichnet das Wort?

  • Welche Bedeutung wird dem Wort zugeordnet?

  • Welche anderen Wörter sind mit dem Wort inhaltlich verknüpft?

Pragmatisches Wortwissen (Nutzen von Sprache)

  • Wann nutze ich das Wort? 

  • Gibt es bestimmte Situationen, in denen das Wort benutzt (oder nicht benutzt) wird?

  • Welche nonverbalen Zeichen (z.B. Gesten) sind mit dem Wort verknüpft?

Syntaktisches Wortwissen (Satzbildung)

  • Um welche Wortklasse handelt es sich bei dem Wort (z.B. ist es ein Nomen?)

  • Wie wird das Wort in einem Satz verwendet?

  • Welche anderen Wörter werden im Satz mit ihm verknüpft (z.B.das Wort Essen wird häufig mit dem Wort kochen benutzt)

Morphologisches Wortwissen (Wortbildung)

  • Welche verschiedenen Wortformen gibt es (z.B. gibt es eine Pluralform? Wie wird es flektiert: er schwimmt, sie schwimmen)

  • Welche anderen Wörter lassen sich aus dem Wortstamm bilden (z.B. reisen, abreisen, Ausreise, Reisebus)

  • Besteht es aus mehreren Morphemen (z.B. Komposita wie Baumhaus, Autoreifen)

Phonologisches Wortwissen (Laute in Wörtern)

  • Wie viele Silben hat das Wort?

  • Welche Konsonanten und Vokale hat das Wort?

  • Wie wird das Wort betont?

Phonetisches Wortwissen (Aussprache)

  • Wie spreche ich das Wort aus?

  • Wie muss ich meinen Mund, meine Zunge, meinen Kiefer bewegen, um das Wort zu produzieren?

  • Wie hört sich das Wort an?

Schriftsprachliches Wortwissen (Lesen und Schreiben)

  • Aus welchen Buchstaben besteht das Wort?

  • In welcher Reihenfolge muss ich die Buchstaben schreiben?

  • Welche Morpheme gibt es in dem Wort (z.B. Ein-bahn-straße). 

Hallo! Da! Wauwau! - Welche Wortarten wir in den ersten 3 Lebensjahren im Wortschatz finden 

Ca. 12 Monate: so langsam aber sicher geht es los mit der Wortproduktion. Es werden Wetten abgegeben, welches Wort das Kind nun zuerst produziert. Diese ersten Wörter hängen sehr stark mit den Erfahrungen des Kindes und dessen Umfeld zusammen. Und der ein oder andere mag überrascht sein, wenn es nicht einer der Klassiker “Mama, Papa oder Ball” ist. Wenn ihr wissen wollt, wann eine Äußerung als Wort definiert werden kann, dann lest den Abschnitt “Da ist es, das erste Wort!” in meinem ersten Blogpost. 

Ca. 12-18 Monate: In dieser frühen Phase finden sich viele interaktive Wörter wie zum Beispiel “Tschüss, ja”, Wörter, die eine bestimmte Beziehung zwischen dem Kind/uns und einer Sache beschreiben (z.B. “unter”, “da”), Lautmalereien (z.B. (“tatütata”) und Eigennamen von Menschen rund ums Kind (vgl. Kauschke, 2015). Empfindungs- und Ausrufewörter, so genannte Interjektionen, finden sich auch. Beispiele sind “ohje, huch, ah, pfui, psst, hatschi”.

Ca. 18-24 Monate: zusätzlich zu den oben genannten Wortarten, dominieren im zweiten Lebensjahr die Nomen. Es sind Nomen, die Prototypen sind. So wird z.B. der Begriff Hund für alle Vierbeiner genutzt (falls ihr vergessen habt, was Prototypen waren und was mit der Basisebene gemeint ist, schaut euch nochmal oben den Abschnitt “Rungenwagen und Weißkopfsaki” an). In dieser Zeit werden auch häufig Wörter erlernt, die sich sehr ähnlich anhören, also nur in einem Laut unterscheiden (wie z.B. Busch und Bus). Wenn dem Kind eine Lautfolge bekannt ist, scheint dies zu helfen, eine ähnliche herauszuhören und sich zu merken (siehe u.a. Stokes et al. 2010). Es finden sich auch Adjektive wie “groß” und Adverbien. 

Ca. 24-36 Monate: Der Anteil an neuen relationalen Wörter wie “hier” und sozialen Wörter wie “hallo” nehmen ab und auch die Anzahl an Nomen steigt nicht mehr exponentiell an. Dafür sehen wir einen stetigen Zuwachs von Verben. Am Ende dieser Altersspanne kommen immer mehr Funktionswörter hinzu. Zu den Funktionswörtern gehören z.B. Pronomen wie “er, sie, es, ihm, ihr), Fragepronomen wie “was, warum” oder Hilfsverben wie “bin, seid, sind”. Auch lernen die Kinder immer mehr Gemütszustände auszudrücken (z.B. “ich bin traurig”). 

Wer noch sich noch mal anhören will, was Katrin und ich in unserem Podcast zu dem Thema zu sagen hatten und welche Beispiele wir aus dem Alltag kennen, dann hört euch doch unseren Podcast 6 an (Link siehe unten).

10, 50, 200… Wortschatzumfang in den ersten 3 Jahren  

Beachtet: Die hier zusammengefassten Angaben sind grobe Richtlinien und beziehen sich auf den expressiven Wortschatz, also die Wörter, die die Kinder sprechen. Der rezeptive Wortschatz, also die Wörter, die sie verstehen, ist deutlich größer. 

Ca. 12 Monate: Die ersten Wörter sind zu beobachten. Sie sind meist dem Lallen sehr ähnlich und einfach in ihrer Lautstruktur (wie z.B. “Papa, Oma, Ball”). 

Ca. 12-18 Monate: Das Kind verwendet expressiv ca. 10-20 Wörter. Der Wortschatz wächst noch relativ langsam. 

Ca. 18-24 Monate: Nach den ersten 50 Wörtern mit ca. 18 Monaten geht bei vielen Kindern der so genannte Wortschatzspurt los, d.h. die Kinder lernen immer schneller neue Wörter und nutzen sie expressiv. Häufig kommen mehrere Wörter am Tag zum Wortschatz hinzu. 

Ca. 24-36 Monate: Mit zwei Jahren sprechen die Kinder ca. 200 Wörter, zum Ende des dritten Lebensjahres sind es dann ca. 500. 

Wichtig an dieser Stelle ist es für mich zu erwähnen: Jedes Kind zeigt seine individuelle Entwicklung und man kann nicht davon ausgehen, dass immer ein gradueller Entwicklungsverlauf zu beobachten ist. Manchmal scheint es so gar nicht voran zu gehen, dann wiederum hat man das Gefühl, das Kind saugt die Wörter nur so auf. 

Solltet ihr euch Sorgen machen und ihr seid euch nicht sicher, ob euer Kind eine typische Entwicklung durchläuft, dann sprecht mit eurem Kinderarzt und/oder einer Logopädin/Sprachtherapeutin. Diese können euch helfen, eure Beobachtungen einzuordnen und euch Tipps geben, was es zu beachten gibt oder was aus ihrer Sicht sinnvoll wäre zu tun. 

Ich bin gegen frühzeitige Diagnosen, aber ich finde es wichtig, dass man achtsam beobachtet, damit man frühzeitig unterstützen kann, sollten sich Verzögerungen oder Schwierigkeiten abzeichnen. In diesem Alter gibt es viele Möglichkeiten spielerisch und in den Alltag integriert dem Kind unter die Arme zu greifen. Ein paar Ideen dazu findet ihr in meinen Blogposts 3 und 4 zur frühen Sprachförderung.

Fazit

  1. Beim Erwerb von Bedeutungen und dem Abspeichern von Wörtern spielen viele Faktoren und Lernprozesse eine Rolle. Dem Ganzen liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Sprache ein Symbolsystem ist. Es kann genutzt werden, um sich mitzuteilen, um sich Wissen anzueignen und in Interaktion mit anderen zu treten.

  2. Zunächst werden einfache Wörter auf der Basisebene erworben. Das Fast-Mapping erlaubt, dass der Wortschatz sich schnell erweitert. Die Wortbedeutungen werden umfangreicher und differenzierter. Die erlernten Wörter werden im Lexikon nach unterschiedlichen Kriterien sortiert.

  3. Die ersten Wörter sind harte Arbeit und beziehen sich auf das Umfeld der Kinder (sie beschreiben Personen oder Erlebtes). Ab 18 Monate geht der Wortschatzspurt los, nach den ersten 50 Wörtern steigt der Wortschatz bis zum 3. Lebensjahr auf ca. 500 Wörter an.

Da raucht einem schon der Kopf, wenn man darüber nachdenkt, was unsere Kleinen in so kurzer Zeit alles lernen müssen. Und hier ging es ja „nur“ um die Entwicklung der Wortbedeutung und des Wortschatzes. Im nächsten Blog wird es um die Grammatikentwicklung gehen, die parallel zum Wortschatzerwerb läuft. Dann wird noch deutlicher, wie komplex die Sprachentwicklung ist und welche Mammutaufgabe die Kinder zu bewältigen haben, um sich die Sprache (oder Sprachen) anzueignen.

Nun denn, ihr habt heute auf jeden Fall gelernt, was ein Weißkopfsaki ist und was meine Familie unter Naschifleisch versteht.

Falls ihr eure eigenen Erfahrungen zum Thema Wortschatz mit mir teilen möchtet oder Kommentare, Anmerkungen oder Hinweise habt, nutzt die Kommentarfunktion unter dem Blogpost, ich würde mich freuen.

Alles Liebe und Gute,

Eure Blanca

Referenzen

Chiat, S. (2001). Mapping theories of developmental language impairment: Premises, predictions and evidence. Language and Cognitive Processes, 16, 113–142. 

Glück, C. W., & Elsing, C. (2014). Lexikonentwicklung nach dem Wortschatzspurt. In A. Fox-Boyer, S. Ringmann, & J. Siegmüller (Hrsg..), Handbuch Spracherwerb und Sprachentwicklungsstörungen - Kindergartenphase (S. 5-9). München: Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag.

Jackson, E., Leitao, S., & Claessen, M. (2016). The relationship between phonological short-term memory, receptive vocabulary, and fast mapping in children with specific language impairment. International Journal of Language and Communication Disorders, 51(1), 61-73. doi:10.1111/1460-6984.12185

Kannengieser, S. (2019). Sprachentwicklungsstörungen - Grundlagen, Diagnostik und Therapie (4 ed.). München: Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH.

Kauschke, C. (2015). Frühe Entwicklung lexikalischer und grammatischer Fähigkeiten. In S. Sachse (Ed.), Handbuch Spracherwerb und Sprachentwicklungsstörungen - Kleinkindphase. München: Urban & Fischer.

Newbury, J., Klee, T., Stokes, S. F., & Moran, C. (2015). Exploring Expressive Vocabulary Variability in Two-Year-Olds: The Role of Working Memory. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 58(6), 1761-1772. doi:10.1044/2015_JSLHR-L-15-0018

Stokes, J. (2010). Neighborhood density and word frequency in toddlers. Journal of Speech, Language and Hearing Research, 53, 670-683. 

Bildquelle

Foto von cottonbro von Pexels

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